Neue Nervenzellen entstehen bis ins hohe Alter

Oct 1 / Dr. Maria Brasser

«Ich werde immer vergesslicher - gibt es da noch ‘was zu retten?» Diese Frage höre ich immer wieder von besorgten älteren Personen.
Die Frage, die ich jeweils zurückstelle, lautet: «Wollen sie Verlorenes retten oder Neues formen?» Dies führt bei den meisten zuerst zu Verwirrung. Dann holen ich gerne etwas aus und erkläre den Hintergrund dieser Frage, was ich auch hier gerne kurz tun möchte.

Die Hirnforschung ist lange davon ausgegangen, dass sich das Gehirn im Erwachsenenalter nicht mehr ins Positive verändert, d.h. dass sich keine neuen Gehirnzellen mehr bilden. Dies würde bedeuten, dass im Alter der neuronale Abbauprozess dominant und nur sehr schwer aufzuhalten ist.

In der Forschung ist diese Ansicht inzwischen völlig veraltet, in den Köpfen vieler Personen leider noch nicht. Wir wissen heute, dass bis ins hohe Alter neue Nervenzellen entstehen und sich neue Verknüpfungen zwischen den Neuronen bilden. Somit befindet sich unser Gehirn in einem stetigen Wandlungsprozess, was man als Neuroplastizität bezeichnet, und das unabhängig davon, ob wir 40 oder 70 Jahre alt sind.

Diese Erkenntnis ist vielleicht den meisten bekannt, doch richten gleichwohl viele ältere Personen ihren Fokus auf den Abbauprozess statt das Wachstumspotential des Gehirns. Sie gehen davon aus, dass es sowieso nur noch schlechter wird und sie einfach noch zu retten versuchen, was es zu retten gibt. Anders sehen es Personen, welche auf die lebenslange Neuroplastizität fokussieren. Im Vordergrund steht für sie die lebenslange Formbarkeit des Gehirns und die Möglichkeit, stetig Neues dazuzulernen.

Freude am Wachstum

Dieser Unterschied in der Perspektive, ich nenne es Kummer um Verlust versus Freude am Wachstum, macht einen grossen Unterschied für das Erleben und Wohlergehen: Wenn wir dem Kummer um altersbedingten kognitiven Defizite mehr Raum lassen, werden wir automatisch alltägliche kleine Gedächtnisschwächen verstärkt wahrnehmen und uns deswegen nerven oder sogar entmutigen lassen.

Wenn wir hingegen der Freude am Wachstum mehr Raum geben, fokussieren wir stärker auf das, was wir weiterhin gut oder besser als früher können. Wir überlegen uns, was wir dazulernen möchten, um unser Gehirn damit zu fordern und formen. Sie können sich vorstellen, dass aus den verschiedenen Haltungen und resultierenden Unterschiede in der Wahrnehmung das Wohlergehen entsprechend höher oder tiefer ausfällt.

Gerne stelle ich somit auch Ihnen die Frage: «Wollen Sie Verlorenes retten oder Neues formen?». Ich wünsche Ihnen viel Freude beim täglichen Dazulernen, Ausprobieren und Herausfordern des Körpers und des Hirns!

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